Wenn das Bewältigungssystem eines Menschen, durch eine bestimmte Situation, vollkommen überfordert ist und er/sie sich absolut hilflos und ohnmächtig fühlt, kann ein Trauma entstehen. Das traumatische Ereignis wird für die jeweilige Psyche als existenziell bedrohlich erlebt.
Peter Levine, einer der Pioniere der Körperorientierten Trauma- Psychotherapie, meint, dass man ein Trauma nicht an einem Ereignis festmachen kann, sondern nur an der Reaktion der Betroffenen. Seine Definition für Trauma lautet: „zu viel, zu schnell, zu plötzlich“. Eine gleiche Situation kann von verschiedenen Menschen völlig unterschiedlich erlebt werden. Während ein Mensch in einer bedrohlichen Situation keine Möglichkeit mehr zum Handeln sieht, erkennt ein anderer eine Chance sich zu retten. Gehen die Verletzungen von unseren engsten Bezugspersonen aus, ist die Situation besonders unerträglich.
Es gibt zwei Arten von Trauma, das Schock- Trauma und das Bindungstrauma. Ursachen eines Schock- Traumas sind Unfälle, Naturkatastrophen, Krieg, Vergewaltigung, Gewalt und alles was plötzlich und unerwartet geschieht, wodurch der Mensch sich überfordert und ohnmächtig fühlt. Ein Bindungstrauma entsteht in den ersten Lebensjahren und wird durch die engen Bindungspersonen provoziert, indem das Kind eine unsichere Bindung erlebt, in der es keinen ausreichenden Halt, sondern eher Ablehnung, Vernachlässigung, Kritik und emotionale Kälte erfährt.
In Bedrohungssituationen stehen uns drei Mechanismen zur Verfügung, Angriff, Flucht und Totstellen. In einer Trauma Situation sind für den Betroffenen Angriff und Flucht nicht mehr möglich. Das Ereignis ist mit starken Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit verbunden. Die einzig verbleibende Möglichkeit ist der Totstellreflex. Das ist der Supergau für unser System und führt zur Spaltung unserer Persönlichkeit.
Ein Teil, der traumatisierte Anteil, bleibt in dem damaligen Trauma hängen, fühlt sich noch Jahre später so wie damals und hat sich nicht weiterentwickelt. Er speichert die Erfahrung des Traumas in sich ab. Der Trauma Anteil verharrt auf der Altersstufe zum Zeitpunkt des Traumas und sucht noch immer nach einem Ausweg. Er macht sich klein, sucht Schutz, erstarrt, fühlt sich wertlos und schuldig. (Ruppert, Seelische Spaltung innere Heilung, 2018_S.34-35)
Ein weiterer Anteil, der Überlebensanteil oder Manager, versucht nach der Trauma- Erfahrung zu überleben und entwickelt dafür bestimmte Strategien. Dieser Teil geht mit dem Leben mit, entwickelt sich, lernt und wird erwachsen. Er verdrängt die Trauma- Erfahrung und wird der Wächter der seelischen Spaltung, vermeidet, kontrolliert und kompensiert. Empfindungen werden nur so weit zugelassen, wie sie die Abkapselung des Traumas nicht bedrohen. Die Gefühle werden blockiert. Dieser Teil sorgt dafür, dass sich der Mensch vielleicht bis zur Erschöpfung, mit Aufgaben und Pflichten eindeckt. Er kann nicht zur Ruhe kommen, denn Ruhe ist gefährlich, da Gefühle hochkommen könnten. (Ruppert, Seelische Spaltung innere Heilung, 2018_37-38)
Je früher ein Trauma stattgefunden hat, desto stärker wird die Entwicklung eines Menschen durch die Traumatisierung beeinflusst. Ein Aufbau gesunder seelischer Strukturen wird dadurch erschwert.
Wilhelm Reich spricht von einem „Charakterpanzer“, den Menschen sich zulegen, damit sie überleben können, der von Normen und Vorstellungen, was man tun sollte, geprägt ist. Die Polaritäten in einem Machtprozess (Täter und Opfer) im außen haben sich somit nach innen verlagert.
Ein dritter Anteil ist ein gesunder Anteil und wird so weit wie möglich von der traumatischen Erfahrung freigehalten. Dieser Anteil ist das, was sich vor der traumatischen Erfahrung schon entwickeln konnte und von ihr nicht zerstört wurde. Er zeichnet sich durch Grundvertrauen, Bindungsfähigkeit, Kontaktbereitschaft, Wahrnehmung, Gefühlsregulation, Merkfähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Realitätsorientierung aus.
Das gesunde Ich muss dem Überlebens- Ich allerdings Platz machen, wann immer es nötig ist, wenn im Außen Trigger erscheinen, die den Trauma- Anteil aktivieren könnten.
„Die traumatische Introjektion im Erleben von Hilflosigkeit und Ohnmacht dient dem Zweck, das traumatische und unkontrollierbare, äußere Objekt durch Hineinnahme in die innere Welt zu meistern.“ (Peichl, Innerer Kritiker, Verfolger und Zerstörer, 2013)
Eine wichtige Komponente ist das „Window of tolerance“
Menschen, die in der Kindheit ausreichend versorgt, geschützt und angenommen wurden und auch später im Leben kein Trauma erlitten haben, befinden sich die meiste Zeit in einem optimalen, emotionalen Zustand, indem sie gleichzeitig fühlen und denken können. Dieser Zustand wird „Window of tolerance“ genannt und ist ein Toleranzfenster, das zwischen dem totalen Erregungszustand (Kampf und Flucht) und dem verminderten Erregungszustand (Erstarrung), die Mitte bildet. Während einer beängstigenden Störung oder einer Gefahr bewegen wir uns aus diesem Toleranzfenster heraus, entweder nach oben in Flucht und Kampf mit Aktivierung vom Sympathikus oder nach unten zum Erstarren und Unterwerfen, der Aktivierung des Parasympathikus. Bei einem Trauma sind Kampf und Flucht meistens nicht mehr möglich. Ist ein Kind über längere Zeit traumatischen Situationen, wie einer unsicheren und ambivalenten Bindung ausgesetzt, so bewegt sich sein Nervensystem ständig zwischen Übererregung und verminderter Erregung. Das kann zu einem chronischen Zustand werden und im späteren Leben Folgen haben.
Die Folgen der Überreaktion:
ADHS, Schlafstörungen, Panikattacken, Psychosomatische Störungen, wie Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Kopfweh, Rückenverspannungen, vegetative Symptome wie Übelkeit, Schweißausbrüche, Zittern.
Die Folgen verminderter Erregung sind:
Dissoziation, Anpassungsstörung, akute Belastungsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, DIS (multiple Persönlichkeit), innere Leere, Gefühllosigkeit, Gedächtnisprobleme, Denkprobleme, Scham und Depression.
Die Selbst-Regulationsfähigkeit wiederherzustellen und die Kontaktfähigkeit zu sich selbst und zu anderen Menschen aufzubauen sind zwei wichtige Punkte, um wieder in das Window of tolerance zu kommen. Es geht darum wieder Vertrauen zu finden, zu anderen Menschen, zum Leben und zu sich selbst. Der Teil des autonomen Nervensystems, der uns soziale Interaktionen ermöglicht, ist der ventrale Vagus. Wenn wir in Sicherheit sind und uns vor allem sicher fühlen, dann wechseln wir in den ventralen Vagus und damit zu Ruhe, Verdauung und sozialem Engagement. Nun sind wir bereit Bindungen einzugehen und die Welt als einen sicheren Ort zu sehen. Um ein Schock- Trauma zu überwinden oder ein frühkindliches Bindungstrauma zu heilen, ist therapeutische Hilfe notwendig. Es gibt zwar sehr viele interessante und gute Bücher zu diesen Themen, jedoch braucht es einen sicheren Raum und eine sichere Bindung, um neue und heilende Erfahrungen zu machen.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."