Bindungstrauma

Traumatische Erfahrungen der frühen Kindheit und chronischer Schmerz

Aus meinen Erfahrungen mit chronisch kranken Patienten, sehe ich die frühkindlichen Traumata und Bindungstrauma als Grundursache der später im Leben entstehenden Erkrankungen. Hier schaue ich allerdings mit einem causal- orientierten Blick.

Die folgenden Informationen stammen, unter anderem, aus einem Artikel von Klaus Wilhelm in der Zeitschrift Psychologie Heute, von 2014.

Frühe traumatische Erfahrungen führen später zur Bindungsstörung und zu einem unsicheren und vermeidenden Bindungsstil.

Alle negativen Erfahrungen, vor allem in den ersten Jahren, aber auch schon im Mutterleib, steigern das Risiko für alle möglichen Erkrankungen später im Leben. Schwere Traumen wie Missbrauch und Misshandlung, ein Bindungstrauma und widrige soziale und wirtschaftliche Lebensumstände führen zu Veränderungen im körperlichen Stresssystem.

Der Fötus im Mutterleib registriert, was in seiner Umwelt geschieht. Wenn ein Kind eine gestresste Mutter erlebt, beeinträchtigen Stresshormone aus dem Kreislauf der Mutter massiv die Entwicklung des kindlichen Immunsystems.

Doch Vorgänge in menschlichen Beziehungen haben auch einen massiven Einfluss auf die Regulation zahlreicher Gene und deshalb nicht nur seelische, sondern auch weitreichende biologische Auswirkungen. Eine weit verbreitete Ansicht besteht darin, Gene würden unabhängig von der Außenwelt ihr Programm abspulen, unsere biologischen und psychischen Eigenschaften vorherbestimmen und darüber entscheiden, an welchen Krankheiten wir leiden werden. Doch Gene steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert. Zwischenmenschliche Erfahrungen und psychische Prozesse werden vom Gehirn in biologische Signale (Ausschüttung von Hormonen) umgewandelt. Botenstoffe des Gehirns sind in der Lage, sowohl im Gehirn selbst als auch im Körper zahlreiche Gene zu regulieren und zu verändern. Ich habe zwar keine Nachweise, bin jedoch der festen Überzeugung, dass die Prozessorientierte Psychologie unsere Gene positiv beeinflussen kann.

Das Ausmaß mütterlicher Zuwendung nach der Geburt spielt eine entscheidende Rolle dafür, wie das CRH- Gen (Corticotropin-Releasing Hormon, ist für die Sympathikus Aktivierung verantwortlich) später im Leben, unter Stress reagieren wird. Es wird im Hypothalamus gebildet und bewirkt über mehrere Stufen die Ausschüttung von ACTH, das den Sympathikus aktiviert.

Auch die Geburt hat Auswirkungen auf die spätere Reaktion auf Stress. War die Geburt sehr schwierig, so wird der Mensch später schneller und stärker auf Stress reagieren. Mütterlicher Stress in der Schwangerschaft wirkt ebenso auf das neurobiologische Stresssystem des Kindes. So kommt es beim Nachwuchs später in Belastungssituationen zu einer bleibend höheren CRH Stressreaktion. Die Beziehung zur Mutter ist zunächst für den Säugling die wichtigste.

Traumen und frühes Bindungstrauma beeinflussen auch das spätere Verhalten und Empfinden in Beziehungen. So kann es bei neuen Kontakten zu Unsicherheit und Angst vor Zurückweisung kommen. „Bevor ein anderer mich ablehnt, tue ich es lieber selbst, da ist der Schmerz noch etwas berechenbarer.“ Aus der Angst abgelehnt zu werden wird viel gearbeitet und sich überlastet. Grenzen werden nicht erkannt oder missachtet. Stress bis zum Umfallen.

Ein Bindungstrauma beeinflusst über das Stressverarbeitungssystem direkt auch das Schmerzempfinden, wie die US- Neurowissenschaftlerin Naomi Eisenberger von der University of California in Los Angeles herausgefunden hat. Das Team der Forscherin hat im Gehirn eine Region ausgemacht, die auf Ausgrenzung genauso reagiert wie auf einen Reiz, der ins Gehirn schießt, wenn wir uns in den Finger geschnitten haben. „Der Schmerz, den wir nach Ausgrenzung und Zurückweisung fühlen, ist wirklich real“, meint Eisenberger. Und je früher er passiert und je bedeutender er ist, desto mehr prägt er sich in eine Art Gedächtnis für Schmerz ein.

Im Gehirn sind an der Verarbeitung von Schmerzempfinden die gleichen Areale beteiligt wie an der Verarbeitung von Stress. Der frühe Stress durch die negative Bindung führt dazu, dass diese Menschen leichter und schneller Schmerz empfinden als andere. Nach jüngsten Befunden schüttet das Gehirn der Betroffenen weniger Oxytocin aus. (Hormon, das vom Hypothalamus gebildet wird, beeinflusst unser Bindungsverhalten, wird auch als Kuschelhormon bezeichnet) Die Bindungsfähigkeit eines Menschen hängt wesentlich von seinem Oxytocinspiegel ab. Eine frühe Bindungsstörung führt zu einem niedrigen Spiegel an Oxytocin. Das Hormon Oxytocin lindert u.a. auch Schmerzen.

Weiterhin neigen Personen, die in den ersten Jahren ihres Lebens überdurchschnittlich häufig von Trennungserfahrungen oder schweren Gefährdungen ihrer maßgeblichen, beschützenden Bezugspersonen betroffen waren, später stark dazu an Depressionen zu erkranken. Diese Personen besitzen verstärkt intuitive Verhaltensmuster, die der Sicherung zwischenmenschlicher Beziehungen dienen, wie Angepasstheit, Perfektionismus, große Hilfsbereitschaft und Kontrolle. Auch bei chronischen Schmerzpatienten und chronisch Kranken spielen Depressionen und die o.g. Verhaltensmuster eine starke Rolle.

Bindungstrauma und das Schmerzgedächtnis

Intensive oder länger dauernde, sowie sehr früh erlebte Schmerzerfahrungen, lassen im Körper eine Inschrift zurück die als Schmerzgedächtnis bezeichnet wird. Im Zentrum der emotionalen Intelligenz, dem limbischen System, wird dieses Schmerzgedächtnis aktiviert. Hier werden selbst erlittene Schmerzen, gesehene, beziehungsweise direkt miterlebte Schmerzereignisse, die sich bei einem anderen Menschen abgespielt haben, registriert. In früheren Zeiten durchgemachte Schmerzerfahrungen können, auch nach vielen Jahren, in seelischen Belastungssituationen reaktiviert werden und dann chronische Schmerzen, ohne Befund, hervorrufen.

Das Fibromyalgie Syndrom und andere Schmerzsyndrome stehen im starken Zusammenhang mit dem Schmerzgedächtnis, indem angenommen wird, dass diese Menschen schneller und empfindlicher auf Schmerzreize reagieren. (Wilhelm, 2014)

Gerald Hüther vertritt die Meinung, dass vor Spracherwerb, also bereits im Säuglingsalter oder intrauterin gemachte Erfahrungen, im Gedächtnis der Zellen, einzelner Organe, Hirnbereiche oder des ganzen Körpers gespeichert sind.

Seiner Ansicht nach können sie nicht bewusst erinnert oder mitgeteilt werden, kämen jedoch auf andere, körperliche Weise, wie Symptome und Krankheiten, zum Ausdruck. (Hüther, 2004)

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