(Ich verwende hier „der Partner“ im Allgemeinen, wobei ich auch die Partnerin meine)
Haben Sie es schon einmal erlebt oder ist es gerade aktuell bei Ihnen? Der Partner distanziert sich, zieht sich emotional zurück. Er gibt spürbar weniger Nähe, möchte weniger gemeinsame Zeit, verbringt die Zeit lieber allein oder mit Freunden, zeigt wenig Interesse an Kuscheln und Sex….
Was ist passiert? Der erste Gedanke ist meist, dass ein anderer Mann, eine andere Frau dahintersteckt. Dies ist oft nicht der Grund.
Gerade am Anfang, wenn die Beziehung noch nicht gefestigt und klar ist, wenn sich einer der Beiden noch orientiert, kann dies passieren.
Sie fühlen sich wahrscheinlich nun unsicher, bekommen Angst, dass er sich ganz zurückzieht, versuchen mit Drängen und Vorwürfen wieder mehr Liebe und Zuneigung zu bekommen. Vielleicht ziehen auch Sie sich nun emotional zurück und sind enttäuscht.
Am Anfang war es doch der Partner, der so viel Zeit mit Ihnen verbringen wollte, der so viel Nähe suchte, der so begeistert war von Ihnen und nun, plötzlich ist alles anders.
Sie sind ihm zu Beginn als starke, freie, lebendige und im Leben stehende Persönlichkeit begegnet. Das hat ihn angezogen, inspiriert und gefallen. So ist er frei und merkt, dass Sie ihn nicht zum Leben brauchen, dass Sie Ihr Leben auch alleine genießen können. Doch dies hat sich gewandelt, Sie haben sich verändert. Der bedürftige Teil in Ihnen hat schnell bemerkt, dass es hier viel Liebe gibt und wollte mehr. Sie haben sich nach und nach abhängig gemacht. Wahrscheinlich haben Sie ihm viel Zeit gewidmet, haben alles für ihn getan, haben sich von Ihrem eigenen Leben abgewandt und angefangen mehr sein Leben mitzuleben. Wo ist der freie, starke und selbstbewusste Mensch geblieben, dem Ihr Partner einst begegnet ist? Zurück blieb ein Mensch, der traurig ist, wenn der Partner keine Zeit hat, der vielleicht nörgelt, sich emotional zurückzieht, der nicht mehr in seinem Leben steht und seine Freude vom Partner abhängig macht.
Wahrscheinlich gab es in der Kindheit einen Elternteil (bei den Frauen meist der Vater, bei den Männern meist die Mutter), der sich emotional abgewendet und das Kind auf der Bindungsebene verlassen hat. Die Liebe hat gefehlt. Das Kind bemerkte, wenn es sich anpasst, dann ist Mama/ Papa freundlich, ausgeglichen und die Liebe fließt. Wenn ein Mensch mit solch einer Erfahrung von einem Partner Liebe bekommt, soll der Fluss nicht enden. Er wendet sich vollkommen dem Partner zu und ist abhängig von seiner Liebe. Wie ein Junkie sucht er unruhig nach dem Stoff den er so sehr braucht. Er passt sich an, vergisst völlig sein eigenes Leben, lässt sich dafür oft zu viel gefallen, nur für etwas Liebe. Und wenn die Liebe nur etwas weniger wird gerät er in Panik, denn nun droht wieder das Verlassen werden.
Passend zu Ihrem liebesbedürftigen Teil, gibt es wahrscheinlich in Ihrem Partner einen Teil, der ein großes Bedürfnis nach Freiheit hat. Auch dieses Bedürfnis kommt meist aus der Zeit der Kindheit. Ein Elternteil (bei den Frauen meist der Vater und bei den Männern meist die Mutter) hat seine ganze Liebe auf das Kind projiziert, um selbst Liebe zu erhalten. Die Mutter oder der Vater waren abhängig von der Liebe des Kindes, waren wahrscheinlich deswegen auch sehr ängstlich um das Kind besorgt und bemutterten es massiv. Das übt einen Druck auf das Kind aus. Es ist nun verantwortlich, dass es der Mutter/ dem Vater gut geht. Begegnet dieser Mensch einem Partner mit dem obigen Kindheitsmuster, erinnert es ihn unbewusst an die alte Situation. Er spürt den Sog des Partners nach Liebe und muss sich deshalb emotional entfernen, um nicht wieder in der Verantwortung zu sein, dass es dem anderen gut geht.
Es passt wie Schlüssel und Schloss zueinander.
Ob nun in dieser Beziehung oder für die nächste, es ist wichtig sich den eigenen bedürftigen Teil anzusehen, mit ihm zu sein, ihn zu kennen und zu heilen. Das gilt für beide Seiten, den Bedürftigen nach Liebe, wie den Bedürftigen nach Freiheit.
Oft steckt gerade in diesen Beziehungen sehr viel Potenzial, doch solange die bedürftigen Anteile nicht gesehen werden, hat die Beziehung wenig Chancen.
Obwohl diese Konstellation nach Gegensätzen aussieht, die sich abstoßen, wollen doch Beide das Gleiche. Jeder möchte in seiner Freiheit als Individuum geliebt werden.
Wenn Sie genau hinsehen, lebt der Partner mit dem Freiheitsbedürfnis den Teil, den der Liebesbedürftige braucht. Es ist die Freiheit sich als Individuum ganz zu zeigen und zu leben, auch in Beziehung, ganz für sich und sein Leben zu stehen, zu sorgen und selbstverantwortlich zu werden.
Für den Partner mit dem Bedürfnis nach Freiheit wäre es ebenfalls ein Schritt ganz in seine Selbstverantwortlichkeit zu gehen und die Verantwortlichkeit für das Glück des Partners loszulassen. So ist er wirklich frei. Bis jetzt versucht er Freiheit durch emotionales Entfernen und Weggehen zu erreichen. Doch er sucht unbewusst ja auch nach Liebe und Nähe, die er so nicht bekommen kann. Fängt er an ganz für sich, seine Freude, für sein eigenes Leben zu sorgen, nur für sich selbst verantwortlich zu sein, hat er den Schlüssel zu seiner Freiheit. Nun kann er die Traurigkeit des Partners sehen, ohne sich schuldig zu fühlen. Damit ist es ihm möglich in Beziehung zu bleiben und gleichzeitig frei zu sein.
"Es ist leichter Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben."